Dürener Nachrichten - Mittwoch, 13. Juli 2011


Viele Punkte machen noch keinen guten Leser

In der Stadtbibliothek findet zum zweiten Mal nach 2009 der NRW-Punktschrift-Lesewettbewerb statt


VON ISABELLE HENNES

Düren. Tim ist ganz schlecht vor Aufregung. Er weiß, gleich kommt er an die Reihe. Dann sitzt er am Tisch da vorne vor den Menschen und muss seine ganze Energie ins Vorlesen des Textes stecken.

Tim ist einer von zehn Schülerinnen und Schülern, die am Punktschrift-Lesewettbewerb in Nordrheinwestfalen teilnehmen. Seit seinem zweiten Lebensjahr ist Tim Böttcher (11) blind. Trotzdem ist er ein guter Schüler: er besucht die fünfte Klasse des Gymnasiums am Wirteltor in Düren. Vier seiner Klassenkameraden sind zum Daumendrücken mit in die Stadtbibliothek gekommen. Dieses Jahr beteiligten sich sieben Schulen aus ganz Nordrheinwestfalen an diesem Wettbewerb, der zum zweiten Mal nach 2009 in der Dürener Stadtbibliothek stattfindet. Unter anderem sind Schulen aus Düsseldorf, Münster und Soest dabei.

Der Punktschrift-Lesewettbewerb ist von der Louis-Braille-Schule ausgeschrieben worden. Die Schule des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) fördert sehbehinderte oder blinde Kinder und Jugendliche. "Wir haben alle betroffenen Schulen in NRW angeschrieben. Jede Schule konnte selbst entscheiden, wen sie zu uns nach Düren zum Wettbewerb schickt", erläutert Wolfgang Franz, Leiter der Louis-Braille-Schule, die Organisation. Finanziell unterstützt wurde der Wettbewerb mit 250 Euro vom Rotary-Club Düren [Änderung Homepageteam].

"Für die Zuhörer heißt es zurücklehnen und sich berauschen lassen," freut sich Franz auf die Vorträge der Teilnehmer. Bei der Punktschrift erfolgt das Lesen durch das Ertasten von Punkten mithilfe der Finger. Die linke Hand zeigt an, welche Zeile gerade gelesen wird, die rechte Hand tastet den Inhalt der jeweiligen Zeile ab. Für den Wettbewerb wurden einige Regeln aufgestellt. Jeder Teilnehmer liest drei Minuten von einem Text vor, der ihm von der Louis-Braille Schule zwei Wochen zuvor in Dateiform zugesandt wurde. Nach dieser ersten Vorleserunde bekommen die Teilnehmer zusätzlich die Chance, ihre Lesequalität durch einen unbekannten Text unter Beweis zu stellen. Den dürfen sich die Teilnehmer kurz vorher anschauen und Fragen stellen. Anschließend entscheidet eine Jury, wer am besten vorgelesen hat. Eingeteilt ist der Wettbewerb in drei Gruppen: Grundschüler, Klasse 5 bis 6 und Klasse 7 bis 10. Danach orientiert sich auch der Schwierigkeitsgrad der Texte, die vorgelesen werden.


Tim liest vor.


Als Tim von seinem ersten Auftritt wieder an seinen Platz zurückkommt, sind sich seine Mitschüler sicher: Er hat seine Sache gut gemacht. "Tim liest einfach gerne. Für ihn ist es außerdem eine besondere Erfahrung, sich mit anderen blinden Kindern zu messen", erklärt Marion Böttcher, Mutter von Tim. "Im Unterricht ist er ja mit nicht-sehbehinderten Kindern zusammen." Was die Teilnahme an solchen Wettbewerben betrifft, hat Tim schon viele positive Erfahrungen gesammelt. Zweimal ist er bereits Erster geworden. Ein Hörbuch und ein Abo von einer Blindenzeitschrift hat er jedenfalls jetzt schon sicher.

Als Tim aus dem Vorbereitungsraum für den unbekannten Text heraus kommt, gibt er gegenüber seinen neugierigen Mitschülern zu: "Ich musste erstmal nachfragen, was eine Halfpipe ist." Die Nachfrage hat sich gelohnt: Die Jury hat sich für ihn entschieden, er hat den Wettbewerb trotz aller Aufregung gewonnen. Jetzt geht er am 27. und 28. September beim bundesweiten Braille-Leseworkshop in Leipzig mit den Gewinnern aus den anderen Bundesländern an den Start.



Zusatzfoto der Sieger und der Jury des NRW-Punktschrift-Lesewettbewerbs 2011

(nicht zum Zeitungsartikel gehörend)

Sieger und Jury des NRW-Lesewettbewerbs


Die Namen von Leseratten und Jury auf dem Gruppenfoto (von links nach rechts): Mahmud (Dortmund, 2. in der Orientierungsstufe), Daniel (Dortmund, 4. in der Hauptschule), Filiz (Düsseldorf, 2. in der Grundschule), Larissa (Düren, 1. in der Hauptschule), Wolfgang Franz (Schulleiter, Düren, Jury), Tina Lorig (Sonderschullehrerin, Düren, Jury), Tim (Düren, 1. in der Orientierungsstufe), Lucas (Duisburg, 1. in der Grundschule), Frau Reichert (Düren, Blindenselbsthilfe, Jury), Frau Deutsch (Stadtbücherei Düren, Jury) und Jana (Münster, 3. in der Grundschule). Annemarie (Münster, 2. in der Hauptschule) und Carina (Soest, 3. in der Hauptschule) mussten leider frühzeitig abreisen.


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