Band-Trip nach Morpeth



Am Sonntag, den 24. September 2006 ging es los. Am Flughafen Düsseldorf wartete zweieinhalb Stunden vor Abflug ein Team bestehend aus Herrn Schneider und mir auf die weiteren Mitreisenden. Nach und nach trudelten alle ein: Frau Sieger, Frau Kämmerling und von der Band Herr Grossnick, Dragan, Jan, Florian, Ricardo und Robert. Freudige Aufregung machte sich breit. Alle Lieben und Anverwandten wurden nach dem "check in" verabschiedet und Musiker und Entourage mussten durch die Sicherheitskontrolle. Da wir keine Instrumente bei uns trugen - und somit niemand ein Maschinengewehr im Geigenkasten verstecken konnte - fiel die Kontrolle kurz aus. Noch eine kleine Stärkung und dann ging es wirklich los. Nach einstündigem, ruhigem Flug kamen wir in Newcastle an.
Gerard, ein Fahrer, und John Bibby, Mitglied des Organisationsteams des Northumbrian Gathering, holten uns vom Flughafen ab.
Schnell ging die Fahrt zum Cottage View, unserer Unterkunft, in der wir die Zimmer bezogen und den ersten Durst löschten. Die Orientierung innerhalb des Hauses war nicht schwer, aber unsere Adapter aus Deutschland waren für die englischen Steckdosen nutzlos bis auf den von Frau Sieger. So konnte Dragan leider nicht seine Lieblingsband zur Entspannung hören und fürs Rasieren musste ein Leihsystem entwickelt werden.
Gegen 15.00 Uhr begaben wir uns zum ersten Empfang durch die NCBA (Northumberland County Blind Association).
In einem lichten Foyer vor dem William Turner Herb Garden hatte das Begrüßungskomitee ein Büffet aufgebaut, das u. a. eine traditionelle Gemüsesuppe beinhaltete, die einigen zu gesund schmeckte. Da aber auch Pizza und Ofenfritten im Angebot waren, konnte die Vitaminflut von Salat und Rohkost von den Bandschülern gerade noch eingedämmt werden.
Wir lernten ein LehrerInnen-Ehepaar kennen, das uns auch an der KEVI Schule begleiten sollte, einige Verbandsmitglieder der NCBA und natürlich die Familie Bibby-Wilson, die HauptorganisatorInnen des Gathering. Sie gaben uns "a warm welcome", also einen herzlichen Empfang und erklärten schon einmal die Basics für die im Anschluss stattfindende Probe. In der Methodisten-Kirche ging es dann musikalisch zum ersten Mal zu Sache. Die eigens für uns entliehenen Instrumente mussten ausprobiert werden. Diverse Sounds wurden für Robert auf dem Keyboard eingestellt, Anlage und Mixer wurden abgestimmt und nach einer halben Stunde rockten die Jungs unterm Methodistenkreuz einen guten Sound.


Die Band spielt unter dem Methodistenkreuz


Gegen Ende der Probe kam die Jugendgruppe der Methodisten vorbei, die überwiegend aus Mädchen bestand und sich sehr schnell zum ersten kleinen Fanblock entwickelte. Einige der Mädchen sprachen Deutsch und sie verbrachten mit uns das Abendessen. Leider konnten sie uns nicht beim wohlverdienten Pub-Besuch begleiten.
Wir beendeten den Abend in fröhlicher Runde in der gemütlichen Lounge des "Tap and Spile", während der Clan der HelferInnen noch mit dem Abbau der Anlage beschäftigt war.

Am nächsten Morgen, am Montag, den 25. September, ging es zur KEVI-Schule zu unserem ersten Workshop.
Während sich die SchülerInnen von KEVI mit ihrem Musiklehrer der Band vorstellten und alles für die interkulturelle Probe des Songs "Morgen" von den Sechs Richtigen aufgebaut wurde, gaben Ricardo und ich noch ein Live-Interview, unsere Tour betreffend. Hiervon gibt es leider keine Aufnahmen.
Herr Großnick leitete den Workshop und wie durch Zauberhand gruppierten sich noch Saxophone, weitere Percussions und weitere erste und zweite Stimmen zu der Band auf der Bühne dazu. Die Session verlief sehr erfolgreich, denn die KEVIs waren motiviert und verstanden sich menschlich und musikalisch gut mit uns.
Nach dem Lunch im Deutsch-Department und anschließender Freizeit hieß es, sich mental auf die Präsentation und auf das Konzert vorzubereiten.
Nach der Schule kamen geladene Gäste der Gemeinde (zum Teil von der NCBA), der Schule und Leute aus der örtlichen Jugendarbeit und Musikszene. Wir hatten ein bunt gemischtes Publikum von etwa 100 Personen.
Ein halbprofessionelles Schülerteam von KEVI hatte für indirekte Beleuchtung gesorgt und begleitete die Band während der Performance mit gut getimtem Bühnennebel und Lichteffekten. Und das kam gut. Wow, was für eine Show! - Das fanden die überwiegend jungen ZuhörerInnen auch, fast niemanden hielt es mehr auf den Stühlen. Hatten anfangs noch einige SchülerInnen mit Dreadlocks zu den Reggae-Rhythmen von "Morgen" abgetanzt, waren es bei "Wenn's immer so wär" im B.B. King Style schon gefühlte 150. Echt genial bis zur letzten Zugabe.


Die Band spielt B.B. King und niemanden hält es auf den Stühlen in der KEVI- Schule


Wir ließen uns Pizza in den NCBA-Club kommen und chillten out. Nach dem Abendbrot führte uns Kim Bibby-Wilson die elektrische Version der Northumbrian Smallpipes vor, deren Bordunton gar nicht mehr stoppen wollte. Daraufhin rief Ricardo: "Hilfe, wie krieg ich die aus?" Danach kam Sue Morgan zu uns, die wir mit unserem fast gleichlautenden Evergreen (ein Wort, was es im Englischen so gar nicht gibt, genau wie Twen oder Handy übrigens) "Morgen, Morgen" von der CD begrüßten. Als blinde Dudelsackspielerin zeigte sie uns die Freuden und Tücken der Original Northumbrian Smallpipes. Jan führte mit ihr auf Englisch ein Gespräch über die Bedeutung von Musik in seinem und in ihrem Leben. Im "Red Bull Inn" ganz in der Nähe von Cottage View beendeten wir den Abend.

Am Morgen des Dienstag, den 26. September, ging es mit unserem Minibus in die "Sage", Newcastles neues Konzertgebäude. Hier bekamen wir eine Singing Tour of the Building. Die fiel leider etwas kurz aus, schloss aber das "Ersingen" eines Fluchtwegs, der Northern Rockfoundation Hall und die Besichtigung der Band-Eingänge mit ein. Wir erfuhren etwas vom ausgeklügelten Belüftungssystem und der interessanten Deckenakustik in der "Sage".
Dann picknickten wir vor unserem Garderobenraum, der sich zu unserem anfänglichen Entsetzen als der für den Nachmittag geplante Konzertraum herausstellte. Mike, ein Techniker und Bandpromoter, konnte uns später davon überzeugen, dass Proben möglich wäre.


Wir schnappen Luft am River Tyne bei der Sage und der Milleniumsbrücke


Vor der Probe und einem kleinen Konzert vor Mitarbeitern und Mitgliedern von einer anderen Band erfrischten wir uns bei einem Spaziergang entlang des River Tyne. Wir überquerten die Milleniumsbrücke und einige von uns brachten noch eine Pressekonferenz im "Baltic Art Center" zum beben, indem Jan, Dragan und Robert ein Drum-Solo auf einem an der Wand befestigen Schlagzeug hinlegten. Der Bass war leider schon kaputt, sonst hätte Florian den Ausstellungsmachern auch noch mal zeigen können, was 'ne Harke ist. Zum Abschluss hatten wir noch das Sharing-Konzert mit den "Journalists", einer Band der Region mit einem blinden Bassisten. Nach diesem Tag voll Musik hatten wir uns Fish und Chips verdient. Und Fisch muss ja bekanntlich schwimmen. Das Bassin legten wir im "Red Bull Inn" an.

Unser letzter Tag, Mittwoch, der 27. September, war regnerisch und die Bedingungen schwieriger als erwartet. Als erstes stellten wir fest, dass die Bühne seit der Erstbesprechung des Projekts sich auf ein Achtel ihres ursprünglichen Ausmaßes verkleinert hatte. Die MusikschülerInnen waren ohne eine Lehrperson gekommen und schleppten Instrumente an, ohne sich mit Herrn Großnick abzusprechen. Damian Dowling tat, was in seinen Kräften stand, um uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, indem er Songtexte kopierte, Tee und Kaffee kochte, seinen Schülern Instrumente besorgte und das Mittagessen ausgab. Dennoch stellte sich der Gig als der am meisten anstrengende heraus, da die Gosforth-SchülerInnen den Anlass nutzten, um ihre Instrumente mehr oder weniger individuell zu spielen und nicht recht für die Einübung eines Songs mit Präsentation motiviert waren. Jans Drumkit bewegte sich mit jedem Schlag auf die Bassdrum ein Stück die Bühne herunter. Hier war Professionalität gefragt. Mit Freundlichkeit und Gelassenheit wurde die Situation gemeistert. Ricardos Ansagen und der Sound der Band rissen auch die SchülerInnen mit, die aus schulorganisatorischen Gründen leider jeweils immer nur eine halbe Stunde im Publikum bleiben durften. Frau Kämmerling und Herr Schneider animierten zum Schunkeln und versuchten CDs zu verkaufen. Aber bei einem permanent rotierenden Publikum kann schon allein aufgrund von Zeitmangel kein Stimmungshoch aufkommen. Die Band bekam dennoch Komplimente von den englischen KollegInnen. In all dem Trubel hatten die Schüler unserer Band noch Kontakt zu "Jamie, the dog" (einem trainierten Blindenführhund, so etwas wie ein Kollege von Pitti) und zu Sid, seinem Besitzer, und seinen Freunden aufgenommen und sich so etwas Ruhe am Rande der Veranstaltung verschafft.


Ein paar Bandmitglieder mit 'Jamie, the dog' in der Gosforth High-school


Wir waren müde und erleichtert, dass alles insgesamt so gut verlaufen war, als wir wieder im Cottage View ankamen. Es blieb noch Zeit für Shopping und Frischmachen für die Abschiedsparty im "Tap and Spile".
Bei einem köstlichen Büffet kamen fast weihnachtliche Gefühle auf, als wir Dankesgeschenke an das Team der OrganisatorInnen und HelferInnen verteilten, die wiederum für jeden von uns eine Kleinigkeit hatten.
Bei offenem Kaminfeuer tauchte zu später Stunde noch der Chor "Voice Mail" auf, der uns mit Songs der Region wie "Water of the Tyne" und "Blaydon Races" erfreute. John Bibby und Kim Bibby-Wilson spielten die Northumbrian Smallpipes für uns. Robert bedankte sich formvollendet mit den Worten: "Thank you for the lovely music!"


Kim Bibby-Wilson spielt die Northumbrian smallpipes für uns beim Abschiedsabend


Das Personal des Pub war hingerissen von den vielen Folk- und Rocksounds des Abends. Und gegen Ende - "Nä, nä, Frau Kätzmann, ist datt nit schön, üverall nur kölsche Tön" - hörte das verbleibende Publikum die "Kayjass Nummero Null". Herrlisch ...

Mit leichten Tränen der Wehmut, weil et esu schön wor, flogen wir am nächsten Morgen, Donnerstag, den 28. September, nach Düsseldorf zurück.



Andrea Capitain



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